Im September des Jahres 1906 reiste Engelbert Humperdinck mit seiner Frau nach Usedom. Im Gepäck des großen Komponisten: Erste Entwürfe zur Bühnenmusik von Shakespeares "Sturm", eine Auftragsarbeit zur Eröffnung des Berliner Schauspielhauses am Nollendorfplatz.
Für zusätzliche, authentische Eindrücke von rauher See und stürmischen Winden hatte Humperdinck Heringsdorf ausgewählt, das sich mit seinen malerischen Villen, luxuriösen Hotels und einem modernen Kurbetrieb als Seebad der erholungsuchenden Berliner Prominenz etabliert hatte. Die Villa "Meeresstern" auf der Anhöhe Kulm ist bis heute erhalten geblieben.
1905, im Jahr vor Humperdincks Arbeitsaufenthalt, hatte Usedom Schlagzeilen gemacht bei der historischen „Neujahrs-Sturmflut“, die damals auch weite Flachküstenstreifen durchbrochen hatte. Die Wahrnehmung der Insel als bisweilen „stürmisch“ war also keine shakespeareske „Luftgeist“-Fantasie.
Die Villa „Meeresstern“ am Kulm, als Teil der historischen Heringsdorfer Bäderarchitektur frisch renoviert, erinnert noch heute mit einer Gedenktafel an den „Sturm“-Aufenthalt des großen Komponisten.
06.09.1906 Anreise
Humperdinck reiste am 06. September 1906 zusammen mit seiner Frau Hedwig und Tochter Senta nach Heringsdorf. Dies geschah bei schlechtem Wetter – oder wie es im Tagebuch heißt „(Regen!) Heringsdorf“. Nach einem Mittagessen, ging es für die Familie „mit Motorboot nach Bansin“ und Humperdinck sah hier „hübsche Wohnungen am Wald“. Danach kehrten sie „zurück nach Heringsdorf“ und kurz und knapp wird verkündet: „Wohnung gefunden / Am Culm 1 (Greulich) Aussicht aufs Meer.“ Das Abendessen hatte die Familie an der Promenade im „Hôtel Lindemann“. Danach wurde mit der Droschke das Gepäck abgeholt. Zuletzt heißt es: „8 1⁄2 Senta sehr müde. Allein im Mondschein zum Casino [...]“ Der Romantiker Humperdinck war auch hier offen für die Impressionen, die typisch für seine Epoche standen.
07.09.1906
Der Tag begann mit einem „Frühstück auf der Terasse“. An dieses schlossen sich bis zum Mittagessen Arbeiten an der Musik zu Shakespeares „Sturm“ an. - „Sturmskizzen fortgesetzt“ heißt es in großen Buchstaben im Tagebuch. Dezidiert arbeitete er hier an der Stelle des Zaubergastmahls bzw. hier etwas knapper: „Zaubermahl“.
Mittags war die Familie „bei Czuwalski“, trank danach noch Kaffee, bevor sich Humperdinck abermals dem „Zaubermahl“ widmete. Für den Nachmittag und Abend heißt es: „Mit H[edwig] & S[enta] nach Neuhof (vergebens). [...] wieder zu Czuwalski (Abendessen).“ Um 21 Uhr trank er dann noch allein einen Kaffee im Kaiserhof („9 [Uhr] Café Kaiserhof (allein))“.
08.09.1906
Der Morgen war „schön warm“ und Humperdinck machte einen „Spaziergang (allein) nach Bansin“. Bis zum Mittagessen arbeitete er wieder am „Sturm“ und diesmal am „Erntelied“ des Nymphenchors. Im Anschluss ging es erneut zu Czuwalski. Es folgte eine Kaffeepause im Kaiserhof auf welche Arbeiten am Nymphenchor folgten, bevor sie abermals bei Czuwalski waren. Um 21 Uhr dann erneut ein Kaffee im Kaiserhof zum Ausklang des Tages.
09.09.1906
Humperdinck begann den Tag um 06.45 Uhr mit einem „Bad (allein)“ im Meer. Direkt danach widmete er sich dem Komponieren von „Prospero ́s Entzauberung“ aus dem „Sturm“. Den Mittag verbrachte die Familie einmal mehr bei Czuwalski. Nach dem Essen, d.h. ab 13 Uhr, hieß es: „Mit H[edwig] & S[enta] nach Ahlbeck spaz.[iert]. Mit Droschke zurück zum Strandhotel. Schlechter Kaffée“. Danach beugte er sich wieder über die „Entzauberung“, bevor es für den Abend abschließend heißt: „In Treptow ́s Weinrestaurant/ Mit H[edwig] im Strandcasino“.
10.09.1906
Um 06.45 Uhr ging Humperdinck „allein im Buchenwald spaz.[ieren]“ und machte sich danach an den „Schlusschor u.[nd] Epilog“. Mittags war die Familie dieses Mal im „Hôtel Vineta“, bevor es „mit H[edwig] & S[enta] nach Bansin“ ging. Sie kehrten in einem „Strandrestaurant“ ein, waren noch ein wenig im Wald und kehrten dann „mit Motorboot zurück“. Am Abend noch „mit H[edwig] allein in Strandcasino“.
11.09.1906
Abermals um 06.45 nahm er ein Bad, doch dieses Mal war es „sehr stürmisch“. Der weitere Vormittag bestand aus Arbeiten an „Tanz15 & Ouverture“. Danach ging es mit „H[edwig] & S[enta] nach Bansin“. Zuerst ins Strandrestaurant und danach ins Dorf. Er traf sich hier mit „H. Zöllner aus Leipzig“ und geht „mit ihm auf dem Langenberg durch den Wald. Oben Kaffee“. Es folgte der „Rückweg von Bansin nach Heringsdorf“, den Humperdinck umschreibt mit „schön, aber sehr windig“. Am Abend heißt es kurz und knapp: „Einpacken“. Bevor sich Humperdinck um 20.30 Uhr „im Strandcasino mit Zöllner“ trifft und dort bis 22:30 Uhr bleibt.
12.09.1906
Am letzten Tag seines Aufenthalts wurde zeitig aufgestanden und direkt am frühen Vormittag mit dem „Schnellzug“ der Heimweg angetreten. Humperdinck besuchte direkt eine Probe des „Wintermärchens“ die er aber als „sehr unbefriedigend“ empfand.
Das Stück ist nicht im Werkverzeichnis der Tochter Eva Humperdinck (1994) gelistet. Neben der Widmungskomposition finden sich noch 25 weitere Einträge im blindgeprägten Leinenalbum mit Goldschnitt, das zu den Humperdinck-Festtagen in der Heringsdorfer "Villa Irmgard" ausgestellt werden soll.
Das Musikstück „Erinnerung“ ist am Ende unterzeichnet „Zum Andenken an Deinen Bruder Engelbert Humperdinck“, datiert auf „Siegburg, den 20. September 1871“. Der früheste Eintrag im Poesiealbum stammt vom 7. Juli 1869, der letzte Eintrag vom 21. Juli 1873. Am 4. September 2021 kommt es in Heringsdorf zur öffentlichen Erstaufführung der Komposition nach der Wiederentdeckung. Die Deutsche Grammophon bringt zum 100. Todestag des Komponisten ein Humperdinck-Doppelalbum heraus mit der Ersteinspielung der "Erinnerung" durch den Pianisten Hinrich Alpers.
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